Forschungspreis 2007 Landschaftsökologische Charakterisierung von Habitaten des Seggenrohrsängers (Acrocephalus paludicola) im Rozwarowo-Moor / Nordwestpolen
Der diesjährige Forschungspreis geht an Cosima Tegetmeyer vom Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald. Sie hat im Rahmen ihrer Diplomarbeit den weltweit gefährdeten Seggenrohrsänger im «Rozwarowo-Moor» an der deutschpolnischen Grenze erforscht. Namentlich hat sie die Einflussfaktoren untersucht, welche zu geeigneten Bedingungen von Vegetation und Wasserstand führen und dem seltenen Vogel die Brut ermöglichen. Die Produktion von Schilf («Rohrwerbung») für die Dachdeckerei ist im Untersuchungsgebiet von wirtschaftlicher Bedeutung. Im Zentrum der Arbeit steht deshalb die Frage, ob die Rohrwerbung mit den Ansprüchen des Seggenrohrsängers vereinbar ist.
Die Preisträgerin kommt zum Schluss, dass die Schilfproduktion sogar etwas zum Schutz des Rohrsängers beitragen kann, sofern auf den von ihm besiedelten Flächen auf einen zu hohen Wassereinstau verzichtet wird. Die Landschaftsökologin definiert die Minimalanforderungen und zeigt Möglichkeiten auf, wie der Lebensraum des Seggenrohrsängers verbessert werden kann und gleichsam Produktionseinbussen der Rohrwerber vermieden werden.
Die Erkenntnisse und Lösungsvorschläge der Preisträgerin fliessen derzeit in ein seit 2005 laufendes EU-LIFE Projekt ein, das zum Ziel hat, die Population des Seggenrohrsängers zu stärken und 1500 ha neue Bruthabitate zu schaffen. Für die geplante Fortsetzung der Forschungsarbeit von Cosima Tegetmeyer im afrikanischen Winterquartier des Rohrsängers kommt das Preisgeld wie gerufen.
Zusammenfassung der Arbeit
Der Seggenrohrsänger Acrocephalus paludicola galt in Europa noch bis Anfang des 20. Jh. als häufiger Vogel der Niedermoore. Mit der großflächigen Zerstörung seines Lebensraumes durch Entwässerung und die Intensivierung der Landwirtschaft kam es Mitte des 20. Jh. zu einer dramatischen Bestandsabnahme. Heute gilt der Seggenrohrsänger als global bedroht. Die Weltpopulation umfasst derzeit noch ca. 13'000 bis 19’000 singende Männchen (sM). Gegenstand der Arbeit war das c-Brutgebiet «Rozwarowo-Moor» in Nordwestpolen. Das dortige Vorkommen beherbergt fast 50 % der stark gefährdeten Pommerschen Population, der westlichsten der drei Teilpopulationen des Seggenrohrsängers. Die Art ging hier zwischen 1996 und 2006 um rund zwei Drittel zurück, von 250 auf 80 singende Männchen.
Das Rozwarowo-Moor wurde in der Vergangenheit extensiv landwirtschaftlich (Mahd, Beweidung) und zur Torfgewinnung genutzt. Trotz vorhandener Pläne wurde es nie entwässert und urbar gemacht. Seit 1989 wird hier Schilf für die Dachdeckerei gewonnen. Die Privatisierung des Moorgebietes 1994 und Intensivierung der Rohrwerbung stießen auf die Kritik polnischer Naturschützer. Tatsächlich sank der Seggen¬rohrsängerbestand nach Beginn der kommerziellen Rohrwerbung von 60 sM im Jahr 1991 auf 37 sM im Jahr 2006. Die Antwort auf die Frage nach Vereinbarkeit von Rohrwerbung und Schutz des Seggenrohrsängers war das zentrale Thema dieser Diplomarbeit.
Im zentralen Teil des Moores wurden Stratigraphie, abiotische Standortverhältnisse und die Vegetation untersucht, um Moorgenese und -eigenschaften sowie die Eignung der Flächen als Seggenrohrsängerhabitat zu erfassen. Geeignete Bruthabitate für den Seggenrohrsänger stellen Schilfbestände mit Sumpffarn und Seggen im Unterwuchs dar. Kombiniert mit Frühjahrswasserständen von bis zu 10 cm über der Geländeoberfläche können sie als Leitbild für Seggenrohrsängerlebensräume im Rozwarowo-Moor gelten.
Auf Grund der Untersuchungsergebnisse sind Rohrwerbung und Seggenrohrsängerschutz prinzipiell vereinbar. Die Rohrwerbung stellt eine wirtschaftliche Form der Flächenpflege dar. Durch die regelmäßige Schilfmahd werden den Flächen Nährstoffe entzogen und Gehölzaufwuchs wird verhindert. Durch das Entfernen des Altschilfes bildet sich im Frühjahr eine vom Seggenrohrsänger zur Brutzeit benötigte niedrige homogene Vegetationsstruktur. Andererseits wirkt sich die momentan von den Schilfbauern praktizierte Wasserwirtschaft eher negativ auf den Seggenrohrsänger aus. Um die Funktion des Gebietes als Schilfanbaugebiet und als Lebensraum für den Seggenrohrsänger zu vereinen, muss auf einen übermäßig hohen Wassereinstau (> 10 cm, April-Juli) in den aktuell vom Seggenrohrsänger besiedelten Schilfbeständen und den potenziell geeigneten Habitaten in Zukunft verzichtet werden. Darüber hinaus ist auch die schleichende Eutrophierung des Rozwarowo-Moors durch die unmittelbar angrenzenden landwirtschaftlich genutzten Flächen und die das Gebiet durchfließenden Gewässer unbedingt zu vermeiden.