Forschungspreis 2023 Ein Modell zur Vermeidung von Konflikten zwischen Bartgeier und Windenergie in den Schweizer Alpen
Grosse, tagaktive Greifvögel sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, mit Rotorblättern von Windkraftanlagen zu kollidieren. Auf Grund der tiefen Reproduktionsrate dieser Arten ist jeder Verlust problematisch. In der Schweiz ist der wiederangesiedelte Bartgeier stark betroffen – und noch immer als «vom Aussterben bedroht» gelistet. Genau hier setzt die Arbeit des Preisträgers an, in der er detaillierte räumliche Vorhersagen darüber macht, wo der Bartgeier mit der Windkraft in Konflikt gerät und wo Kollisionen unwahrscheinlich sind.
Bereits in einer vorangehenden Arbeit hat er die potenzielle künftige Verbreitung des Bartgeiers in den Schweizer Alpen anhand von Raum- und GPS-Daten modelliert und publiziert. Nun kam eine weitere wichtige Dimension hinzu: die Flughöhe in Bezug auf den gefährlichen Rotorbereich. Mit GPS-Daten von 28 besenderten Vögeln, die im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes überwacht wurden, sowie weiteren Variablen für die Windverhältnisse, die Hangneigung und die Exposition des Geländes und das Nahrungsangebot, konnte er die tatsächliche Nutzung des Luftraums durch den Bartgeier kleinskalig modellieren.
Den resultierenden Risikokarten liegen spannende Zusammenhänge zugrunde. Demnach konzentrieren sich Flüge unter einer Höhe von 200 m, die hinsichtlich Kollisionsrisiko grundsätzlich kritisch einzustufen sind, an steilen südexponierten Berghängen, in Gebieten mit starken Winden und eher dort, wo mit Steinbockkadavern zu rechnen ist. Gemäss Modellierung werden 77 % des für die Art grundsätzlich geeigneten Gebiets auch in kritischen Flughöhen überflogen, was den Spielraum für Windkraftanlagen einengt. Da das potenzielle Verbreitungsgebiet des Bartgeiers aber nur einen Teil der Alpen abdeckt, verkleinert sich das Gebiet mit potenziellen Kollisionen auf rund 31 % der Fläche der Schweizer Alpen.
Es ist zu erwarten und zu hoffen, dass die Modellierung für andere Greifvögel angepasst werden kann, wenn entsprechende GPS-Daten zu ihren Flugbewegungen vorliegen. So könnten nicht zuletzt auch die anderen Geierarten profitieren, die in der Schweiz zunehmend häufiger beobachtet werden.
In einem Umfeld schwieriger Diskussionen und unterschiedlicher Interessen stellen der Preisträger und die Co-Autor:innen, darunter Vertreter:innen der Stiftung Pro Bartgeier und der Vulture Conservation Foundation, eine sich auf Fakten stützende Entscheidungshilfe zur Verfügung. In einer Zeit, in der die Energieversorgung schnell auf erneuerbare Quellen umgebaut werden muss, liefert die Arbeit von Sergio Vignali somit eine wertvolle Diskussionsgrundlage, die nach Auffassung der Jury massgeblich dazu beitragen kann, ausgewogene Kompromisse zwischen Natur- und Klimaschutz zu finden.
Publikation
Vignali S., Lörcher F., Hegglin D., Arlettaz R., Braunisch V. , 2022: A predictive flight-altitude model for avoiding future conflicts between an emblematic raptor and wind energydevelopment in the Swiss Alps. R. Soc. Open Sci.9: 211041. https://doi.org/10.1098/rsos.2...